Stand: 09.05.2023 12:43 Uhr
Zwei Prozent der Kinder eines Jahrgangs gelten in Deutschland als hochbegabt, etwa 15 Prozent als überdurchschnittlich intelligent, so das Institut für das Begabte Kind. Doch wie erkennt man eine Hochbegabung?
Ganz besonders schlau - das verbinden viele Menschen mit hochbegabten Kindern. Was erst einmal gut klingt, bringt jedoch viele Herausforderungen mit sich. Denn damit ein Kind sein Potenzial nutzen kann, muss eine Hochbegabung erst einmal erkannt und dann angemessen begleitet werden. Auf dem Weg dahin kann es zu Fehldiagnosen und viel Frust für Kinder und Eltern kommen. Verschiedene Initiativen unterstützen Familien mit hochbegabten Kindern und helfen bei Vernetzung und Förderung.
Wie äußert sich eine Hochbegabung? Darauf können Eltern achten
Als Kleinkind schon musizieren und lesen können: Hochbegabung wird oft mit Hochleistung gleichgesetzt, doch es gibt viele weitere Merkmale.
"Rückblickend sagen viele Eltern, sie hätten die Zeichen sehen können", berichtet Sabrina Henning. Sie ist Psychologin und arbeitet für die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK). Doch eine Hochbegabung ohne Vorkenntnisse als solche zu erkennen, sei schwierig. Henning und ihre Kolleginnen und Kollegen beraten Eltern kostenlos, wenn der Verdacht auf Hochbegabung besteht oder bereits bestätigt wurde.
Ein Kleinkind, das auf hohem Niveau musiziert und mehrere Sprachen spricht? Das gibt es zwar, doch Hochbegabung äußert sich nicht ausschließlich in den Fähigkeiten eines Kindes, sondern auch im Sozialverhalten oder der Reizverarbeitung. Henning nennt einige typische Merkmale hochbegabter Kinder, die Eltern oft schon früh auffallen:
- ein Entwicklungsvorsprung etwa im Bereich Sprache und Zahlen: Oft überspringen die Kinder die Babysprache und können sich schon früh sehr klar und differenziert ausdrücken.
- Reizoffenheit: Die Kinder nehmen sehr viel von ihrer Außenwelt wahr und verarbeiten alles, was sie sehen, hören und spüren. Dinge sind ihnen schnell zu viel, zu laut oder zu hell.
- Einige hochbegabte Kinder brauchen weniger Schlaf als Gleichaltrige.
- Oft suchen Hochbegabte eher den Kontakt zu älteren Kindern oder den Erziehern als zu Kindern im gleichen Alter.
- Manchen fällt es schwer, mit Gleichaltrigen zu spielen und sich in die Gruppe zu integrieren. Viele ziehen sich zurück und beobachten nur. Manche verhalten sich aggressiv.
Reizüberflutung: Manchen hochbegabten Kindern wird schnell alles zu viel, weil sie Reize anders wahrnehmen.
Natürlich treffen nicht alle Merkmale auf jedes Kind zu. So kann auch ein Kind, das erst später spricht oder viel Schlaf braucht, hochbegabt sein. Das Institut für das Begabte Kind stellt eine umfangreiche Liste mit möglichen Merkmalen bereit und rät, bei mehreren zutreffenden Aspekten einen Intelligenztest zur Abklärung machen zu lassen.
Intelligenztest: Ab welchem IQ ist man hochbegabt?
Bestehen Anzeichen, dass ein Kind hochbegabt ist, sollte ein normierter IQ-Test durchgeführt werden. Mithilfe eines solchen Tests kann eine Hochbegabung sicher diagnostiziert werden. In Deutschland wird er von Ärztinnen oder Psychologen durchgeführt und dauert etwa eineinhalb bis zwei Stunden. Für die Kinder ist der Test wie ein Quiz. Viele haben großen Spaß dabei, weil sie sich austesten und an ihre Grenzen kommen können, berichtet Henning. Das Ergebnis wird algorithmusbasiert ausgewertet und so der Intelligenzquotient ermittelt.
Wird dabei ein Wert von 130 oder mehr festgestellt, liegt eine Hochbegabung vor. Als überdurchschnittlich intelligent gelten auch Kinder mit einem IQ zwischen 115 und 130 Prozent. Dabei ist anzumerken, dass bei einem IQ-Test zwar verschiedene Lernbereiche abgefragt werden, die helfen, den IQ zu ermitteln. Doch der Intelligenzquotient allein ist nicht dazu geeignet, das Können eines Menschen vollständig zu erfassen. Der IQ kann jedoch eine Orientierung über Stärken, Schwächen und besondere Begabungen im kognitiven Bereich geben und eine passende Förderung ermöglichen.
Ab wann kann auf Hochbegabung getestet werden?
Möglich ist ein IQ-Test ab einem Alter von etwa drei Jahren. Oft wird mit fünf Jahren getestet, wenn es um einen vorgezogenen Schuleintritt geht. Viele Schulen wünschen sich zu einem späteren Zeitpunkt eine erneute Testung, um die Diagnose Hochbegabung zu bestätigen. Denn die Intelligenzentwicklung hängt von vielen Faktoren wie der kognitiven Entwicklung oder Umwelteinflüssen ab und kann sich im Laufe des Lebens verändern. Um eine Hochbegabung festzustellen, sollte der Intelligenztest immer von Experten durchgeführt werden, von kostenlosen IQ-Tests im Internet ist in diesem Fall abzuraten.
IQ-Test kostet 350 bis 600 Euro
In der Regel reiche der Elternwunsch allein nicht aus, um eine Testverordnung vom Kinderarzt zu erhalten, so Henning. Damit die Krankenkasse die Kosten für den normierten IQ-Test übernimmt, muss das Kind bereits in Institutionen Auffälligkeiten gezeigt haben. Andernfalls müssen die Eltern den Test selbst bezahlen. Kostenpunkt: 350 bis 600 Euro. Henning sieht dies kritisch, denn viele Familien können die Kosten nicht selbst tragen.
Fehldiagnose ADHS oder Autismus
Dabei sei es wichtig, eine Hochbegabung frühzeitig festzustellen, um die Bedürfnisse des Kindes besser zu verstehen und es entsprechend fördern zu können. Denn "Kinder, die nicht genügend intellektuellen Input bekommen oder nicht ausgelastet sind, geraten in einen Zustand der Unterforderung", so die Psychologin. Die Kinder beginnen zu zappeln und zu stören oder ziehen sich stark zurück. Verhaltensweisen wie diese führen oft zu folgenden Fehldiagnosen:
- Fehldiagnose ADHS (weil die Kinder sich langweilen, deshalb nicht still sitzen können und Schwierigkeiten haben, sich zu konzentrieren)
- Fehldiagnose Autismus (die Kinder ziehen sich zurück und treten nicht in Kontakt mit Gleichaltrigen)
- Besonders Mädchen reagieren auf Unterforderung oft mit starken Ängsten und emotionalem Rückzug bis hin zu Schulangst.
Hochbegabte Kinder brauchen eine angemessene Förderung, um sich gut entwickeln zu können. Dauerhafte Unterforderung bedeutet Stress.
Hochbegabung werde von Erziehern und Lehrern oft mit ADHS oder Autismus verwechselt, bislang sei es nicht Teil der Ausbildung, Hochbegabung zu erkennen, erläutert Henning. Sie wünscht sich eine Sensibilisierung und Weiterbildung in diesem Bereich. Denn: Falsche Empfehlungen und Fehldiagnosen können gravierende Folgen haben. Die betroffenen Kinder werden oft wiederholt therapiert, ohne dass sich eine Verbesserung zeigt, weil das eigentliche Problem nicht erkannt wurde. Das führt zu viel Frust und negativen Erfahrungen für das Kind und seine Familie.
Wird eine Hochbegabung festgestellt, sollte sie angemessen begleitet und nicht ignoriert werden. Eine dauerhafte Unterforderung setzt Kinder unter Stress, macht sie unzufrieden und unruhig. Eine Förderung nach den Bedürfnissen des Kindes ist wichtig, damit es sich wohlfühlt und in seinem Tempo lernen kann. Dies gilt sowohl in Kita und Schule als auch zu Hause.
Hochbegabte Kinder in Kita und Schule begleiten
Freundschaften sind wichtig: hochbegabte Kinder suchen oft den Kontakt zu Älteren. Auch der Austausch mit anderen Hochbegabten kann guttun.
Langweilt sich ein Kind im Kindergarten oder in der Schule oder sucht immer wieder Kontakt zu Älteren, kann es hilfreich sein, in eine höhere Gruppe mit älteren Kindern zu wechseln. Dies gilt nur, wenn sich das Kind dafür bereit fühlt, denn Hochbegabte sind in sozialer Hinsicht oft genauso weit wie ihre regelbegabten Mitschüler, sodass ein Wechsel nicht immer sinnvoll ist.
In manchen Schulen gehören Wochenpläne mit unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen zum Schulalltag, was für hochbegabte Kinder ein großer Gewinn sein kann, um Unterforderung und Langeweile zu vermeiden. Viele Hochbegabte verlieren die Lust, wenn sie Lerninhalte wiederholen müssen. Für sie sind neue Herausforderungen wichtig, um sich ausgelastet zu fühlen. Auch Schulen mit kleineren Gruppen und besonderen Lernschwerpunkten, etwa im sprachlichen oder mathematischen Bereich, können eine gute Option sein.
In manchen Städten und Regionen gibt es Schulen mit besonderem Schwerpunkt auf Begabtenförderung oder Förderinitiativen der Städte, wie etwa das Modellprojekt "Schmetterlingsschulen" in Hamburg. Ziel des Projekts: Grundschulen für die Begabtenförderung auszustatten, Lehrer fortzubilden und Strukturen zu schaffen, die eine Förderung besonders begabter Schülerinnen und Schüler ermöglicht. Das Online-Portal Begabungslotse im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung bietet außerdem qualitätsgesicherten Informationen rund um die Themen individuelle Förderung, Talententwicklung und Begabungsförderung.
Mein Kind ist hochbegabt: Was Eltern zu Hause tun können
Um ein hochbegabtes Kind angemessen zu begleiten, braucht es die Initiative der Eltern. Um den Wissensdurst des Kindes zu stillen, ist es zum Beispiel hilfreich Hobbys, nach seinen Interessen zu ermöglichen. Eine Mitgliedschaft im Verein fördert das soziale Miteinander und das Gefühl der Zugehörigkeit. Darüber hinaus sei es wichtig, den Kontakt zu "Gleichgesinnten" zu fördern, erläutert Henning.
Freundschaft mit Gleichaltrigen zu schließen, fällt manchen hochbegabten Kindern schwer und sie haben mit Isolation zu kämpfen. Um die schwierige soziale Situation aufzufangen, kann es für viele Familien eine große Erleichterung sein, den Kontakt zu anderen Hochbegabten zu suchen. Vereine wie die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK) unterstützen Betroffene bei der regionalen Vernetzung und mit Angeboten am Nachmittag oder am Wochenende.
Hochbegabung bedeutet nicht automatisch Hochleistung
Hochbegabung wird oft mit Hochleistung gleichgesetzt. Dabei verfügen hochbegabte Menschen in der Regel vor allem in bestimmten Bereichen über außergewöhnliche Fähigkeiten, etwa sprachliche oder mathematische. Wird bei einem Kind eine Hochbegabung diagnostiziert, heißt das also nicht automatisch, dass es - laut Henning ein verbreitetes Vorurteil - mit drei Jahren Klavier spielen können muss. Wie jedes Kind brauche es eine an seinen Interessen und Fähigkeiten orientierte Förderung, damit es sein Potenzial voll entfalten kann, sowohl intellektuell als auch sozial. Denn: "Er oder sie ist einfach genauso Kind, wie alle anderen auch."
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Dieses Thema im Programm:
Familientreffen | 14.05.2023 | 07:34 Uhr
Author: Thomas Young
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